Entwicklung des Fahrzeugparks der Werkbahn des Bochumer Vereins von 1872 bis 1900

Die Gußstahlfabrik des Bochumer Vereins aus der Vogelschau. So – oder besser: so ähnlich – wird man sich den Bochumer Verein im Jahr 1874 vorstellen können. Denn sicher ist, dass der Zeichner Adolf Eltzner, die Realität etwas geschönt haben dürfte. Trotzdem: Die Verkehrsrealitäten wird man sich so vorstellen können. Das allgemeine Transportmittel waren Pferdekutschen, so wie sie im Vordergrund auf der Alleestraße zu sehen sind. Innerhalb des Werkes gab es ein ausgeprägtes Schmalspurnetz, auf dem „kleine Lokomotiven“ für den Transport der Werkstücke zwischen den Hallen sorgten. Im Hintergrund ist die Bahnstrecke der Rheinischen Eisenbahn zu sehen. Der Anschluss an die Bergisch-Märkische Eisenbahn dürfte knapp unter der rechten oberen Ecke gelegen haben. [Eltzner 1875]

„Anfänglich erfolgte der Rangierbetrieb innerhalb des Werkes mit Pferden. Durch die Verbindung weiterer Werkstätten mit Gleisen im Jahre 1872, und durch den Umbau des Übergabebahnhofes, wodurch ein Teil der Drehscheiben fortfiel, wurde der Pferdebetrieb unwirtschaftlich, und man entschloss sich zur Anschaffung einer Lokomotive. Nur die Kohlenzufuhr von Zeche Präsident aus erfolgte noch mit einer Pferdbahn. Von dieser Pferdebahn aus konnte man den Werkstätten auf sogenannten Hunden die Kohlen bis zur Verbrauchsstelle sehr bequem zubringen.“ [Kraft 1933]

So beschreibt A. Kraft den Beginn der Werkbahn des BV in seinem Aufsatz über die Eisenbahn des Bochumer Vereins. Parallel zum Lokomotivpark wuchs auch der eigene Wagenpark. Insbesondere in den Anfangsjahren konnten die Eisenbahngesellschaften nicht ausreichend Güterwagen bereitstellen, um den Transportbedarf zu decken. Als Folge gerieten die Betriebsabläufe ins Stocken. 1872 berichtete der Gruben-Director, Herr Berg-Assessor Täglichsbeck, auf der Generalversammlung von den widrigen Bedingungen:

Die Steigerung der Production wurde wesentlich beeinträchtigt durch die im October v.J. beginnende Verkehrsstockung auf sämmtlichen Eisenbahnen des Rheinisch-Westfälischen Industriebezirkes, welche im Dezember ihren Höhepunkt erreichte und erst mit dem Beginn des Frühjahrs aufhörte. Während dieser ganzen Zeit erfolgte die Abfuhr der Kohlen in sehr mangelhafter Weise. Um nur die Förderung im Gange zu erhalten, wurden über Tage alle vorhandenen Plätze mit Kohlenvorräten angefüllt. Die Verladungen mussten in den unregelmäßigen, von der Bahnverwaltung bewilligten kurzen Fristen unter Aufgebot aller disponiblen Arbeitskräfte bewirkt werden. [BV GV 1872, S. 5]

Eine direkte Folge dieses Wagennotstandes war die Anschaffung eigener Kohlenwagen (1872: 26 Doppelwagen + 1873 weitere 28 Wagen). [BV GV 1872, S. 3 + BV GV 1873, S. 7] Auch in den Folgejahren finden sich in den Geschäftsberichten immer wieder Berichte über neuangeschaffte Werkswagen.

Eine Werbeschrift zur Weltausstellung in Wien 1873 [BV 1873] gibt den Gesamtbestand der Fahrzeuge an mit: „Zum Transportbetriebe innerhalb der Gussstahlfabrik werden 6 Locomotiven, 100 Waggons und 60 Arbeitspferde benutzt.“

Für das Jahr 1877 wird der Fahrzeugbestand mit „5 größeren und 3 kleineren Locomotiven, sowie mit 60 Wagen“ angegeben. Nach der gleichen Quelle war die Werksbahn der der Kruppschen Gußstahlfabrik in Essen mit 14 Tender-Lokomotiven und 537 Wagen (Normalspur) bzw. 10 Lokomotiven und 210 Wagen (Schmalspur) bereits merklich größer. [BME 1879, S. 21 + 57]

Zwanzig Jahre später heißt es in einer Werbeschrift zum westfälischen Städtetag 1896 [BV 1896]:

„Der Transportbetrieb der beiden Gussstahlfabriken wird unter sich mit einer Zahnradbahn, im Übrigen durch 16 normale und 7 schmalspurige Lokomotiven, 510 Waggons und 15 Arbeitspferde vermittelt. Die Steinkohlenzechen Maria Anna und Steinbank und Engelsburg sind mit der Gussstahlfabrik durch eine eigene, 5 Kilometer lange Eisenbahn verbunden; an diese ist die Zeche Hasenwinkel mittelst einer 3 Kilometer langen Luft-Seilbahn angeschlossen.“

Die Größe des Fahrzeugparks war damit zur Jahrhundertwende durchaus typisch. Aus der Literatur lassen sich einige Vergleichszahlen für andere Unternehmen zusammentragen [Schweiger-Lerchenfeld 1900, S. 166-171, 176]:

Eisenhütte der Gutehoffnungshütte in Oberhausen:
12 Lokomotiven

Dortmunder Union:
28 Lokomotiven

Krupp Gußstahlfabrik, Essen:
Normalspur: 55 km, 16 Lokomotiven, 590 Wagen
Schmalspur: 40 km, 20 Lokomotiven, 709 Wagen

Witkowitzer Bergbau- und Eisenhütten-Gesellschaft:
Normalspur: 45 km, 11 Lokomotiven, 312 Wagen
Schmalspur: 48 km, 18 Lokomotiven

 

Literatur

BME 1879           
Bergisch-Märkische Eisenbahn (Hrsg.): Darstellung der Produktions- und Verkehrsverhältnisse im Gebiet der Bergisch-Märkischen Eisenbahn, geordnet nach den Commissionsbezirken Aachen, Düsseldorf, Essen, Hagen, Altena, Cassel. R.L. Friderichs u. Comp., Elberfeld 1879.

BV GV 1xxx
Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation (Hrsg.): Auszug aus den Verhandlungen der (…) General-Versammlung der Actionaire. Verschiedene Jahre: 1872-1902, 1909. ohne Verlag, Bochum. – Firmenschrift – (Bibliothek des Ruhrgebietes)

BV 1873
Bochumer Verein (Hrsg.): Weltausstellung in Wien 1873. Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahl-Fabrikation. Bochum in Westfalen. Wilh. Stumpf, Bochum 1873. – Firmenschrift

BV 1896
Bochumer Verein (Hrsg.): Bochumer Verein Bochum. Zur Erinnerung an den westfälischen Städtetag in Bochum, Juni 1896.. ohne Verlag, 1896.

Eltzner 1875
Eltzner, Adolf: Die Gußstahlfabrik des Bochumer Vereins aus der Vogelschau. Nach der Natur aufgenommen von Adolf Eltzner. Illustration zu: Deutschlands große Werkstätten. Der Bochumer Verein. In: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 541–546. Verlag von Ernst Keil, Leipzig 1875.

Kraft 1933          
Kraft, A.: Geschichte der Eisenbahn des Bochumer Vereins. Teil 1. In: Hüttenzeitung. Werkszeitung des BV. Jahrgang 10 (1933), Heft 4, Seite 7-8

Schweiger-Lerchenfeld 1900    
Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900, S. 168-171. In: Deutsches Textarchiv www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900, abgerufen am 03.06.2021.