Steele ca. 1875: das Werk Horst der Dortmunder Union und eine frühe Schlepptenderlok

Im 1900 gedruckten Buch „Im Reiche der Cyklopen“ ist diese Aufnahme abgedruckt. Wahrscheinlich ist dieses Bild aber erheblich früher, nämlich bereits in den 1870er Jahren entstanden. Im Bildvordergrund steht eine Schlepptenderlok unbekannter Bauart mit Vierseitkuppel und noch ohne Führerhaus. Im Hintergrund zeigt sich das „Werk Horst“ der Dortmunder Union. [Bildquelle: Schweiger-Lerchenfeld 1900]
Diese Ansicht über den östlichen Einfahrtbereich des Bahnhofes Steele in Richtung des „Werkes Horst“ der Dortmunder Union findet sich im 1900 veröffentlichten Buch „Im Reiche der Cyklopen“ von Amand von Schweiger-Lerchenfeld. Das Bild wird vom Kanarienberg aus aufgenommen worden sein. Im Vordergrund verlaufen die Gleise der Bergisch-Märkischen Hauptlinie Essen – Bochum. Während die Linie am linken Bildrand über Horst nach Dahlhausen führt. Dazwischen ist mit dem Wasserkran und der abgestellten Schlepptenderlok der Einfahrtbereich des Bahnbetriebswerks Steele erkennbar. Rechter Hand schließt sich wiederum der Bahnhof Steele an.

Der Ausschnitt aus dem Messtischblatt von 1906 zeigt die Sicht und Aufnahmerichtung des Bildes

Obwohl das Buch erst 1900 erschienen ist, scheint das Bild älter zu sein. Hierfür sprechen vor allem drei Gründe:

  1. Im Bestand des Steeler Archivs gibt es ein Vergleichsbild, das definitiv zur Zeit der BME – also vor 1882 – aufgenommen worden ist und bei dem sich kaum Änderungen zum hier diskutierten Bild finden lassen.
  2. Die im Vordergrund im Einfahrtsbereich des Bahnbetriebswerks abgestellte Dampflok besitzt kein Führerhaus. Das ist für die späten 1890er Jahre sehr untypisch, da die BME bereits zwanzig Jahre eher ihre Loks standardmäßig mit Führerhäusern nachgerüstet hat.
  3. Auf den Fotos sind zwei Werksteile der Hütte zu erkennen. Direkt an die Gleisanlagen grenzt die Kokerei mit den beiden Hochöfen. Demgegenüber ist der zweite Werksteil eher am linken Bildhintergrund zu erkennen.
    Diese Anordnung der Anlagen passt nicht mit den Einzeichnungen im Messtischblatt von 1894 überein. Hier ist nur noch der hintere Werksteil verzeichnet. Der vordere und im Foto deutlich erkennbar Teil mit den Koksöfen (vier Schornsteine), Kesselhaus (rechter Bildrand) und den zwei Hochöfen (hinter dem rechten Koksofen) ist auf dem Messtischblatt nicht mehr verzeichnet. (Die 1894er Situation ist gegenüber dem hier gezeigten Kartenausschnitt aus dem Messtischblatt von 1906 unverändert.) Die Situation zeigt auch recht schön der nachfolgende Lageplan von 1901, den ich einfach mal gedreht habe, damit er die gleiche Blickrichtung zeigt, wie das Bild:
Lageplan des Werkes Horst der Dortmunder Union aus dem Jahr 1901 [Mews 1956]

Exkurs: Die Hütte Neuschottland

Hinter den Gleisanlagen sind auf den Fotos deutlich die einzelnen Werksteile der Hütte Neuschottland zu erkennen. Das Werk wurde 1856 als „Berg- und Hüttenverein Neuschottland“ in Steele gegründet. Der Name „Neuschottland“ wurde gewählt, um sich einen modernen Anstrich zu geben, schließlich war der seinerzeitige Vorreiter in der Eisen- und Stahlindustrie in England bzw. Schottland zu suchen. Der Schwerpunkt des Werkes lag auf der Schienenproduktion.

1872 wurde Neuschottland an die Dortmunder Union verkauft und mit ihr fusioniert. Sie trug nun den Namen „Werk Horst“. Der Schwerpunkt lag zunächst weiterhin auf der Fertigung von Eisenbahnschienen, deren Herstellung in Dortmund und in der Hattinger Henrichshütte nach der Fusion nun eingestellt wurde.

1875 wurde das Stahlwerk in Horst stillgelegt und die Fabrikation der Stahlschienen zum Dortmunder Bessemer Stahlwerk verlagert. In Horst wurde anstatt dessen ein Spezialwerk für alle Arten von Faconeisen, Bauträgern, Lang- und Querschwellen eingerichtet und eine Drahtstraße angelegt.

Für 1877 wird das Werk mit folgenden Werkteilen beschrieben [BME 1879]:

  1. Hochofen-Anlage. 2 Hochöfen mit 76 Coaksöfen. Fabrikation von Roheisen
  2. Gußstahlwerk mit 7 Schmelzöfen. Fabrikation von Gußstahlblöcken und Gußwaaren
  3. Walzwerk mit 38 Puddelöfen, 28 Schweißöfen, 10 Dampfhämmern und 8 Walzenstraßen. Fabrikation von Eisen-, Gussstahl- und Grubenschienen, Stabeisen, Kleineisenzeug, eisernen Bahnschwellen und Gußwaaren.

Laut Geschäftsbericht der Berg.-Märk. Eisenbahn von 1871 besaß die Anschlussbahn des Werkes in jenem Jahr eine Länge von 506 Metern, ein Gleisnetz von insgesamt 2,452 km, 11 Weichen und 2 Drehscheiben [BME GB 1871].

Im gleichen Jahr erhielt das Werk von der Lokomotivfabrik Karlsruhe (1871/72) vier Tenderlokomotiven. Laut Lieferliste sollen die zwar an eine „Zeche Neuschottland, Horst bei Steele“ gegangen sein. Allerdings wird damit wohl die Hütte Neuschottland gemeint sein, da es in Horst keine Zeche gleichen Namens gab.
Rund 15 Jahre später finden sich in der Liste der Maschinenfabrik Hartmann zwei weitere Maschinen mit dem Lieferziel „Union, Horst bei Steele“. Auch damit könnte die Hütte gemeint sein.

Demnach gab es in Horst wenigstens diese Lokomotiven:

  • Karlsruhe (589 / 1871) Bn2t
    neu an Hütte Neuschottland, Horst bei Steele
  • Karlsruhe (590 / 1871) Bn2t
    neu an Hütte Neuschottland, Horst bei Steele
  • Karlsruhe (594 / 1871) Bn2t
    neu an Hütte Neuschottland, Horst bei Steele
  • Karlsruhe (660 / 1872) Bn2t
    neu an Hütte Neuschottland, Horst bei Steele
  • Hartmann (1443 / 1886) Bn2t
    15.05.1886 an Union, Horst bei Steele „AUGUSTENSCHACHT I“
  • Hartmann (1444 / 1886) Bn2t
    25.05.1886 an Union, Horst bei Steele „BÜRGERGEWERKSCHAFT UNION“

 

Exkurs: Der Bahnhof Steele

Die Station Steele ist eine der bedeutendsten, aber auch zugleich schwierigsten Stationen. Fünf verkehrsreiche Bahnlinien, die Strecke von Dortmund, diejenigen von Duisburg, von Werden, von Langenberg und von Hattingen her münden auf dem durch die Lage und Terrain-Verhältnisse beschränkten Bahnhofe, an welchen außerdem durch Schienengleise noch zwei bedeutende Zechen und ein großartiges Eisenwerk (Neuschottland zur Dortmunder Union gehörig) angeschlossen sind. Zwei weitere Zechen sind in freier Bahn angeschlossen, außerdem sind mehrere bedeutende Etablissements, als eine Glasfabrik, eine Fabrik feuerfester Steine, eine Gießerei, mehrere Mehl- und Oelmühlen vorhanden.
Es befindet sich auf der Station eine Gleiswaage und ein Krahn von 150 Ctr., auch ist Bestätterei vorhanden.
Die beiden im Bau begriffenen Umgangsbahnen von Dahlhausen nach Ueberruhr und von Bochum nach Essen werden einen Theil des jetzt über Steele passierenden Verkehrs demnächst daran vorbei führen und den Bahnhof somit entlasten. [Scholtz 1873]

Ende der 1870er Jahre beschrieb die BME die Station Steele folgendermaßen: [BME 1879]

Die B.-M. Station Steele hat Personen- und Güterabfertigung. Auf dem Bahnhofe befindet sich: 1 Stationsgebäude, 1 Güterschuppen, 1 Eilgutschuppen, 1 Locomotivschuppen, 1 Reparaturwerkstatt mit 2 Handwerkern, 4 Wasserkrahnen, 1 Hebekrahnen und 1 Brückenwaage.
Die hier etablierte Gasanstalt, in welcher Fettgas zur Beleuchtung der diese Station berührenden Personenzüge hergestellt wird, besteht aus einem Hauptgebäude mit Kessel und Oelschuppen und 1 Gasometer von 100 cbm Inhalt.
Der Güter-Verkehr der Station besteht hauptsächlich in Empfang von Steinkohlen, Coaks, Eisenstein, Roheisen, Eisenwaaren, Thonerde, Cement, Kalk, Sand, Grubenholz, Bauholz, Glaubersalz, Bier und Getreide, sowie in Versand von Steinkohlen, Roheisen, Eisenbahnschienen, Grubenschienen, Maschinentheilen, Eisenblech, Ofenröhren, Hohlglas, Mehl, Malz und feuerfesten Steinen.

Der Bahnhof wechselte in den Jahren mehrfach den Namen. In den ersten beiden Jahren (1862/63) hieß er Königssteele, bevor er danach bis 1879 schlicht Steele hieß. Von 1879 bis 1893 trug er den Zusatz BM für Bergisch-Märkisch und wurde danach in Steele-Nord umbenannt (1893-1927).

 

Literatur

BME 1879
Darstellung der Produktions- und Verkehrs-Verhältnisse im Gebiet der Bergisch-Märkischen Eisenbahn geordnet nach den Commissionsbezirken Aachen, Düsseldorf, Essen, Hagen, Altena, Cassel. Elberfeld : Friderichs & Co, 1879. – Besitz: Stadtbücherei Wuppertal

BME GB 1871
Bergisch-Märkische Eisenbahn (Hrsg.): Jahres-Bericht über die Verwaltung der Bergisch-Märkischen Eisenbahn für das Geschäftsjahr 1871 : Jahres-Bericht über die Verwaltung der Bergisch-Märkischen Eisenbahn für das Geschäftsjahr 1871. Elberfeld : Sam. Lucas, 1871.

Messtischblatt Essen
Königl. Preuss. Landes-Aufnahme: Meßtischblatt 2576 „Essen“ : Stand 1892, einzelne Nachträge 1906, 1906
Stand 1894: http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71054758/df_dk_0010001_4508_1894

Mews 1956
Mews, Karl: Haßlinghauser Hütte-Neuschottland-Dortmunder Union-Eisenwerk Steele. Ein Jahrhundert Werksgeschichte 1856–1956. Mit Abb.. In: Essener Beiträge Bd. 71 (1956), 3–57

Scholtz 1873
Scholtz, Adolf: Der Güterexpeditionsdienst der Bergisch-Märkischen Eisenbahn : Leitfaden – Hülfsmittel – Orientierungs-Material. Elberfeld : A.Martini u. Grüttesien, 1873. – 378 S.

Schweiger-Lerchenfeld 1900
Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900. In: Deutsches Textarchiv https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900/198

 

Weiterführende Literatur zum Eisenwerk Steele bzw. Werk Horst oder Hütte Neuschottland

Boetticher, Karl W.: 100 Jahre Eisenwerk Steele: Neuschottland-Eisenwerk Steele : Wechsel und Wandel, 1856-1956. Darmstadt:  Hoppenstedt,  1956.  – 70  S.

 

Weiterführende Literatur zum Bahnhof Steele

Vogelsang, Harald: Die Eisenbahn in Steele in historischen Ansichten : ein Kapitel Essener Eisenbahngeschichte. Essen: Steeler Archiv e.V., 2020. – 175 Seiten. – ISBN 9783947320059