Der Zugbildungsplan der KED Essen von 1897

Hamm war 1897 neben Dortmund einer der größten Zugbildungsbahnhöfe im Bereich der KED Essen. Insgesamt acht Wagenzüge wurden von hier aus eingesetzt, 42 Kurswagen den Zügen beigestellt und 43 Reservewagen vorgehalten. Die Züge von hier kamen bis nach Duisburg, Crefeld, Köln, Hannover und Berlin. (Die früheste mir bekannte Verwendung der Karte ist von 31.10.1900)

 

Meist stehen die Lokomotiven beim Eisenbahnhobby im Fokus des Interesses. Doch ohne die Wagen dahinter lief – im wahrsten Sinne des Wortes – nichts. Die Personenzüge umspannten den gesamten Direktionsbezirk mit einem engmaschigen Netz an Strecken. Die einzelnen Verbindungen griffen wie Zahnräder ineinander. Und für alle Fahrgäste waren genug Plätze vorhanden. Naja, jedenfalls war das das Ziel. Die Organisation, die dahinter steht und welche wichtige Aufgabe dabei Zugbildungspläne übernehmen, hat Wilhelm Cauer 1897 in seinem Handbuch für Behörden und Beamte sehr anschaulich beschrieben:

 

Um den Fahrplan verwirklichen zu können, muss eine Übersicht aufgestellt werden, aus der hervorgeht, in welche Weise [..] die sämtlichen fahrplanmäßigen Züge aus dem vorhandenen Material an Wagen gebildet werden können, wobei auf einen gehörigen Überschuss für Verstärkungswagen, Sonderzüge und für die in Ausbesserung befindlichen Wagen Bedacht zu nehmen ist. Eine solche Übersicht gewährt der Zugbildungsplan.

Nur sehr wenige Zugbildungspläne aus der Zeit der Königlichen Eisenbahndirektionen haben bis heute überdauert. Mir sind bisher nur sechs zugängliche Exemplare bekannt:

  • KED Breslau, ab Okt 1909 und ab Mai 1910: Staatsbibliothek, Berlin
  • KED Cöln, Sommer 1897 + Winter 1897/98: Bundesarchiv, Akte R 5/6624
  • KED Cöln, Winter 1901/02: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin
  • KED Essen, ab Okt 1897: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Sollten irgendwo weitere Pläne existieren, wäre ich für einen Hinweis sehr dankbar!

Von Dortmund aus gingen die Züge bis nach Köln und Emmerich. Insgesamt fünf Wagenzüge und rund 100 Reservewagen wurden hier vorgehalten.

 

Nach diesem wird das vorhandene Wagenmaterial einer Eisenbahndirektion in eine größere Anzahl sogenannter Trains (bestehend aus einer bestimmten Anzahl Personenwagen der verschiedenen Klassen und Gepäckwagen) eingeteilt, deren jeder zur Bildung eines oder mehrerer fahrplanmäßiger Züge bestimmt ist. Auch die Verteilung und Benutzung der von der Postverwaltung gestellten Postwagen geht aus dem Zugbildungsplane hervor.

In dem Zugbildungsplan der KED Essen werden diese „Trains“ löblicherweise als „Wagenzüge“ bezeichnet.

Ein Beispiel mag dies näher veranschaulichen. Ich habe mal den Wagenzug der Strecke Bochum (Rh. Bf) – Weitmar (KBS 163a) ausgewählt. Die insgesamt am Tag auf der Strecke fahrenden acht Züge (Z 291 bis 298) wurden alle durch einen Wagenzug bestritten, der im Bahnhof Bochum N. stationiert war. Im Zugbildungsplan finden sich folgende Angaben:

Hierbei bedeuten:
• Gmz => Güterzug mit Personenbeförderung
• Unterstreichung => Bremswagen
Fett => 3-achsiger Wagen
• o => mit Abort (kommt hier nicht vor)

Tja, wenn man jetzt noch ein Wagenverzeichnis hätte oder die Nummern den Bauarten zuordnen könnte, hätte man ein tatsächliches Bild der damaligen Züge. (Die Aufstellung aus dem Wagenverzeichnis von 1913 – zitiert im Buch von Rolf Ostendorf zur ED Essen – hilft leider nicht weiter, da es wohl in den zwanzig Jahren dazwischen mal zu einer Umnummerierung der Wagen kam.)

Bei großen Fahrstrecken wird auch wohl ein Zug abwechselnd von zwei oder mehreren Trains gebildet, die umschichtig, an einem Tag die Hinfahrt, am anderen Tag die Rückfahrt machen. Dagegen fährt auf kleineren Strecken derselbe Train an einem Tag vier, sechs, acht Mal und öfter hin und her.

Auch hier ein Beispiel eines größeren Umlaufes. Die Wagenzüge Hamm 3 bis 8 teilen sich einen 6-tägigen Umlauf. Jeder Zug besteht aus: 2x P3, 2x AB3, 4x C3, 4x D2
Die Wagen haben Westinghouse-Bremse und Dampfheizung

1. Tag
Zug-Nr. 33 Köln – Hamm – Hannover

2. Tag
Zug-Nr. 15 Hannover – Berlin
Gasfüllung

3. Tag
Zug-Nr. 16 Berlin – Hannover
Zug-Nr. 34 Hannover – Oberhausen
Gasfüllung

4. Tag
Zug-Nr. 39 Oberhausen – Wanne – Dortmund
Zug-Nr. 16 Dortmund – Oberhausen
Zug-Nr. 25 Oberhausen – Minden

5. Tag
Zug-Nr. 22 Minden – Hamm – Köln
Gasfüllung
Zug-Nr. 27 Köln – Hamm

6. Tag
Zug-Nr. 28 Hamm – Köln

 

Immer aber gilt der Train als auf einer Station zu Hause. Dies ist die Zugbildungsstation, zu der er immer wieder zurückkehrt, und die in besonderem Maße für die Überwachung und Instandhaltung der in dem Train befindlichen Wagen zu sorgen hat.

Zu der Instandhaltung der Wagen verweise ich auf meinen Beitrag zu der „Unterhaltung der Personen-, Gepäck- und Post-Wagen bei der KED Elberfeld im Jahr 1896“.

Oberhausen war da schon etwas kleiner. Nur vier Wagenzüge bedienten von hier aus Hagen/Duisburg, Emmerich, Bremen und Wesel. Außerdem waren hier auch 59 Reservewagen stationiert. Auf dem Bild steht die Esn 1093 (BMAG 1161/1882, M III-3, später G 3) gerade mit einem Zug am Bahnsteig.

Insgesamt weist der Zugbildungsplan 18 Zugbildungsstationen aus. Diese sind nahezu deckungsgleich zu den Bahnhöfen, an denen Personenzug-Lokomotiven stationiert waren [Cöln rrh 1894]:

Einige Besonderheiten gibt es allerdings:

  • Der Bahnhof Dortmund K.M. hatte zwar einen umfangreichen Bestand an Schnellzugloks – 16 von der CME übernommenen Maschinen der Reihe 20 (genannt Durchbrenner) und 3 neugelieferte Loks nach M III-1d (später P 4.1), trotzdem taucht der Bahnhof nicht als Zugbildungsstation auf. Vermutlich liegt dies daran, dass die Loks zur Bespannung durchlaufender Züge genutzt wurden.
  • In den Bahnhöfen Bochum Nord, Ruhrort und Kupferdreh waren nur Güterzugloks stationiert. Wahrscheinlich wurden diese auch für den Personenverkehr genutzt.
  • Ja und dann sind da ja noch die Thomas-Dampftriebwagen. Sie waren im Bw Bochum Süd stationiert und sollen auf der Strecke nach Herne eingesetzt worden sein. Allerdings wurde der Verkehr auf der Strecke zum 30. April 1896 durch die Straßenbahn ersetzt [Swoboda 2007]. Also taucht die Verbindung nicht mehr in der 1897er Zugbildungsvorschrift auf.

Selbstredend ist mit den nach dem Zugbildungsplan gebildeten Trains der Wagenpark der betreffenden Eisenbahndirektion nicht erschöpft. Vielmehr muss noch ein beträchtlicher Überschuss vorhanden sein, um ausbesserungsbedürftige Wagen zu ersetzen, sowie bei Verkehrssteigerungen Verstärkungswagen in die Züge einstellen, oder bei besonderen Anforderungen Sonderzüge bilden zu können. Diese sogenannten Reservewagen sind, möglichst dem voraussichtlichen Bedarf entsprechend, ganz bestimmten Stationen zugeteilt, welchen sie nach gemachtem Gebrauch sofort – eventuell leer – zurückzusenden sind.

Die Reservewagen standen meist im näheren Bahnhofsumfeld. Auf manchen Postkarten-Motiven sind sie daher „als Beiwerk“ zu erkennen. So zum Beispiel auf den hier gezeigten Karten von Hamm und Dortmund.

Zum Abschluss noch eine Ansicht aus Hamm. Auch hier stehen zahlreiche Reservewagen im Bahnhofsbereich bereit. Die Karte ist 1905 entstanden und ging nach Schweden.

Außerdem finden sich in der Dienstvorschrift
• Wagenzüge fremder Verwaltungen
• Lauf der Wagen IV. Klasse
• Lauf der Verstärkungswagen
• Bestimmungen über den Lauf der Postwagen
• Bestimmungen für die Gasfüllung
• Übersicht über Bestand, Verteilung und Stationierung der Personenwagen und Personenzug-Gepäckwagen

Aber das sind andere Geschichten und sollen ein anderes Mal erzählt werden…

 

Weitergehende Literatur

Zugbildungsplan Breslau 1909
Eisenbahndirektion Breslau (Hrg.): Zugbildungsplan für die der Personenbeförderung dienenden Züge; gültig vom 2. Okt. 1909 ab. – Bestand: Staatsbibliothek Berlin. Signatur: Nz 36010/78-1909. – http://stabikat.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=626557321

Zugbildungsplan Breslau 1910
Eisenbahndirektion Breslau (Hrg.): Zugbildungsplan für die der Personenbeförderung dienenden Züge; gültig vom 1. Mai 1910 ab. – Bestand: Staatsbibliothek Berlin. Signatur: Nz 36010/78-1910. – http://stabikat.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=626557321

Zugbildungsplan Cöln 1901/1902
Eisenbahn-Direktionsbezirk Cöln (Hrg.): Zugbildungsplan der KED Cöln für Winter 1901/02. – Bestand Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin. – Enthalten in Akte „Revision der Betriebsfahrzeuge, Bd. 3, 1895-1903“ Signatur: GStA PK, I. HA Rep. 93 E, Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Eisenbahnabteilung Nr. 2667.

 

Literatur

Bei der Erstellung dieses Beitrags hat mich Jens Nestvogel mit Informationen unterstützt. Herzlichen Dank!

Cauer I 1897
Cauer, Wilhelm: Betrieb und Verkehr der Preußischen Staatsbahnen : Ein Handbuch für Behörden und Beamte. 1. Band. Berlin : Springer, 1897. – 471 S. (1. Band)

Cöln rrh 1894
„Vertheilung der Lokomotiven des Direktionsbezirks Cöln rechtsrheinisch“. Aufgestellt nach dem Stande vom 1. Juli 1894

DSO-HiFo 2020
Seite „Vor 100 Jahren… einiges zum Personenverkehr in der KED Essen im Jahr 1897“. In: Drehscheibe online – Historisches Forum. URL: https://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?017,9271331 (Abgerufen: 13.04.2020, 19:38 UTC)

Ostendorf 1983
Ostendorf, Rolf: Die Geschichte der Eisenbahndirektion Essen. Fahrzeuge und Betriebsführung 1895 bis heute. Stuttgart, Motorbuch 1983. – ISBN 3-87943-931-1

Swoboda 2007
Swoboda, Rolf: Die Eisenbahn in Bochum. Hövelhof, DGEG 2007. ISBN 978 3-93718-928-4

Zugbildungsplan Essen 1897
Eisenbahn-Direktionsbezirk Essen (Hrsg.): Zugbildungsplan zum Fahrplane vom 1. Oktober 1897. Köln, DuMont Schaumburg 1897. – Bestand Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin. – Enthalten in Akte „Zusammensetzung der Züge im Direktionsbezirk Essen“ Signatur: GStA PK, I. HA Rep. 93 E, Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Eisenbahnabteilung Nr. 2186.