Ein Bauzug der BME im Bahnhof Bredelar beim Bau der Oberen Ruhrtalbahn (1872)

Im Berliner Architekturmuseum hat sich eine Serie von Fotografien mit Motiven der Bergisch-Märkischen Eisenbahn aus den 1870er Jahren erhalten. Das Bild zeigt den Bau des Bhf Bredelar im Jahr 1872 oder 1873. Die Lok des Bauzuges verdient dabei besondere Beachtung, handelt es sich doch um die Lok ISAR, die noch aus dem Bestand der Aachen-Düsseldorf-Ruhrorter Eisenbahn stammte und nun – nach ihrer Ausmusterung – noch als Bauzuglok Dienst tat.

Zur Datierung des Fotos

Das Bild trägt unten rechts den handschriftlichen Vermerk „4.4.73“. Das legt den Verdacht nahe, dass das Bild an diesem Tag entstanden sein könnte. Doch kann das sein?

Auf dem Bild ist zu erkennen, dass weite Teile des Bahnhofes noch nicht fertig gestellt sind: Das Bahnhofsgebäude steht erst im Rohbau, der Lokschuppen hat weder Gleisanschluss noch Drehscheibe und außer dem Gleis, auf dem der Bauzug steht, scheinen noch keine Gleise zu liegen. Sollte das der bauliche Zustand im Frühjahr 1873 gewesen sein? Sammeln wir einige Fakten.

Am 6. Januar 1873 ist das Teilstück Bestwig – Warburg der Oberen Ruhrtalbahn eröffnet worden. Josef Högemann berichtet [Högemann 1999, S. 22], dass das Gleisplanum beim Bau zwar direkt für den zweigleisigen Betrieb vorbereitet worden, der Zugbetrieb aber erstmal eingleisig erfolgt sei. Auf dem Bild scheint ein durchgehendes „fertiges“ Gleis erkennbar. Das könnte also passen.

Zweifeln läßt mich aber eher, dass offensichtlich weder Bahnhof noch Lokstation betriebsfähig waren. Wenn man nun berücksichtigt, dass der Betrieb über die Steilstrecke in beide Richtungen Schiebelokomotiven erforderte, dann fragt man sich, wie das funktionieren konnte, da doch die entsprechende Lokstation erst im Rohbau fertig gestellt war.

Alternativ könnte das Bild auch im vorhergenden Sommer 1872 entstanden sein. Abgebildet wären dann die Bauarbeiten im Bahnhof Bredelar. Nach dem Geschäftsbericht für das Jahr 1871 wurden Ende des Jahres 1871 die Baumaterialien für den Oberbau angeliefert [BME GB 1871]. Das Bild wäre dann zwischen diesen beiden Daten, also im Sommerhalbjahr 1872 aufgenommen worden.

Bleibt aber die Tatsache, dass irgendjemand das Foto handschriftlich mit dem Datum „4.4.1873“ versehen hat. Eine Klärung könnte gelingen, wenn sich im Nachlass des Fotografen oder in einer Korrespondenz mit der BME irgendwo ein Bezug zu der Fotoserie herstellen ließe.

 

Der Bahnhof

Die zukünftigen Ausmaße des Bahnhofes sind auf dem Bild schon erkennbar. Anhand der bereitgelegten Schwellen lassen sich rund sechs Gleise erahnen. Diese umfangreichen Gleisanlagen waren nötig, um die Güterzüge bilden zu können, die die vor Ort geförderten Eisenerze ins Ruhrgebiet zur Weiterverarbeitung befördern sollten. Das Hauptziel dürfte dabei Dortmund gewesen sein, da die örtlichen Eisengruben mittlerweile von Dortmunder Hütten (Union AG aus Dortmund und der Aplerbecker Hütte, Brügmann, Weyland & Co.) übernommen worden waren.

Der 795 m lange Anschluss zu den Eisenstein-Gruben wurde 1874 erstellt und von der BME betrieben.

 

Der Betriebsdienst

Die Erwartungen bestätigten sich: Die Eröffnung der Oberen Ruhrtalbahn führte zu einem Förderboom im Bredelar-Adorfer-Erzrevier, so dass jeden Tag durchschnittlich 25 Eisenbahn-Waggons ins Ruhrgebiet versandt wurden [SAM 815]. Dazu passend weisen die Geschäftsberichte der Bergisch-Märkischen Eisenbahn die Station Bredelar als die Station mit dem größten Güteraufkommen in diesem Streckenabschnitt aus.

1879 beschrieb die BME die Station Bredelar so:

Von Bedeutung für den Verkehr ist außer dem Holzversand der Artikel Eisenerz, welches in den umliegenden Gebirgen gewonnen und in einer Quantität von etwa 200.000 kg täglich vermittelst einer Lokomotivschleppbahn (Rhene-Diemelthalbahn) angebracht wird. Auf dem Bahnhof Bredelar wird es mittels Sturzvorrichtung in Waggons verladen und den westlich von Schwerte belegenen Eisenwerken zugeführt.

Die Station Bredelar ist für Personen-  und Güterabfertigung eingerichtet. Auf dem Bahnhofe befinden sich: 1 Stationsgebäude mit Güterschuppen, 1 Lokomotivschuppen, 1 Wasserturm, 2 Beamtenwohnhäuser, 1 Brückenwaage und 1 Filialwerkstatt mit 4 Arbeitern. [BME 1879]

Von der Schleppbahn ist auf dem Bild naturgemäß nichts zu erkennen, einerseits wurde sie erst 1875 eröffnet und andererseits lag der Übergabebahnhof ungefähr 500 Meter in Richtung Warburg, also ein gutes Stück außerhalb des Fotos.

Sehr wohl erkennbar sind die Gebäude der Theodors-Hütte. Die Hütte lag im Bildhintergrund leicht links vom Bahnhofsgebäude hinter den Bäumen. Sie nutzte die Gebäude des 1803 aufgelassenen Zisterzienserklosters. Die Hütte gehörte seit 1872 ebenso wie die zugehörigen Erzgruben zur Union AG.

 

Die Lokstation Bredelar

Die Strecke Bestwig – Warburg wurde Anfang 1873 als letztes Teilstück der Ruhrtalbahn eröffnet. Auf diesem Weg passierte die Strecke den Höhenrücken bei Brilon (445 ü. NN), der sowohl von Bestwig, als auch von Bredelar (289 m ü. NN) aus nur mit starken Steigungen (1:72 bis 1:100) überwunden werden konnte.

Auf dem Weg vom Ruhrgebiet durch das Sauerland nach Hessen überwindet die Bahnstrecke die Rhein-Weser-Wasserscheide bei Brilon. Die daraus resultierenden Steigungen erforderten Schub- bzw. Vorspannlo-komotiven, die in Bestwig und Bredelar stationiert waren. [Quelle: BME GB 1872]
Die Steigung der Strecke war auf beiden Seiten so stark, dass Lokomotiven für den Vorspann- bzw. Schubdienst vorgesehen wurden, die in Bestwig und in Bredelar stationiert waren. An beiden Orten wurden daher 10-ständige Lokschuppen mit Drehscheibe vorgesehen. Mit der Zeit wurden die Züge so schwer, dass sogar eine dritte Lok unterstützen musste. [GeraMond 1991]

Den vorliegenden modernen Quellen lässt sich entnehmen, dass Bredelar dem Bw Bestwig unterstellt gewesen sei [Högemann 1988, S. 225; GeraMond 1991, S. 1]. Allerdings ist mir bisher keine Quelle bekannt, die das auch schon für die Zeit der BME belegt. Eher im Gegenteil: In den Geschäftsberichten wird Bredelar als eigenständige Station mitsamt den dort stationierten Reserveloks aufgeführt. Demnach waren mit Ausnahme von 1876 bis 1880 immer 2 oder 3 „warme Loks“ und Anfangs (1874/75) eine bzw. später (1877-79) drei oder vier „kalte Loks“ stationiert.

Ab 1880 waren demnach in Bredelar keine Reseveloks mehr stationiert. Dies ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Vielleicht wurde Bredelar ab 1880 als Lokstation dem Bw Bestwig unterstellt und die dort stationierten Lokomotiven sind im Bestwiger Bestand enthalten?

Sicher ist jedenfalls, dass 1873 in Bredelar drei Schlosser stationiert waren, die sowohl als Waren-Revisoren dienten und gleichzeitig auch kleinere Wagenreparaturen ausführten. Arbeitsraum war der mit den nötigen Werkzeugen ausgestattete Lokschuppen [BME GB 1873, S. 97f].

Der Bildausschnitt zeigt noch einmal den Lokschuppen, der noch eine Drehscheibe erhalten wird und rechts das Empfangsgebäude. In der Bildmitte hinter den Bäumen versteckt liegt das ehemalig Kloster Bredelar, in dem nach der Säkularisierung 1803 mit der Theodors-Hütte eine Gießerei untergebracht war.

Die Lokomotive

Besonders spannend ist die abgebildete Lokomotive. Die Bauart mit dem großen Abstand zwischen Treib- und der hinteren Laufachse ist sehr ungewöhnlich. Daher lässt sich die Lok als ehemalige Lok der Aachen-Düsseldorf-Ruhrorter Eisenbahn identifizieren. In dem Jahresbericht von 1873 findet sich hierfür eine passende Information [BME GB 1873, S. 128]:

Die ausrangierten und der Bau-Abtheilung übergebenen Locomotiven Isar und Ocker haben in 400 Fahrtagen in Summa 39.156 Kilometer oder 5.220,8 Meilen zurückgelegt, 620 Stunden Rangierdienst und 606 Stunden Reservedienst geleistet.

Die beiden Loks waren nahezu baugleich. Der feine Unterschied war, dass die vormalige „HOMBERG“ bzw. spätere „ISAR“ geringfügig leichter war und der Stehkessel weiter in das Führerhaus hineinragte. Die alternative Lok „OCKER“ entspricht der leicht schwereren Bauart mit größerem Stehkessel. Ich vermute daher, dass es sich auf dem Bild um die Lok „ISAR“ handelt.

Quelle: Ausschnitt aus ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_05373-3232. Personenzug-Locomotiven und Tender der Aachen-Düsseldorf-Ruhrorter Eisenbahn. http://doi.org/10.3932/ethz-a-000903553

Der Lebenslauf der Lok:

Kessler 139 / 1849, 1A1n2, 1435 mm
Neu            Ruhrort-Crefeld „HOMBERG 22“
1850          Umfimierung der Bahngesellschaft zur „Aachen-Düsseldorf-Ruhrorter Eisenbahn“ „HOMBERG 22“
1866          Übernahme der Bahn durch die Bergisch-Märkische Eisenbahn, Umzeichnung in „ISAR 254“
1871          + => an Bauabteilung
1872          Fotobeleg: Bauzug in Bredelar beim Bau der oberen Ruhrtalbahn
1874          ++

Das Foto einer Lok der ehemaligen Aachen-Düsseldorf-Ruhrorter Eisenbahn sieht man nicht oft. Daher darf es hier gerne noch mal ein weiterer Ausschnitt sein, auch wenn die Auflösung an ihre Grenzen kommt.

Weitere Fundstücke

Bei der Recherche zu diesem Beitrag sind mir einige weitere interessante Puzzleteile begegnet, die diesen Beitrag um einige Aspekte ergänzen. Und da diese Fundstücke nicht wieder verloren gehen sollen, möchte ich kurz darauf hinweisen:

Bauzuglok auf der Diemelbrücke am Hammerberg (1873)
Im Archivbestand des „Haus Böttcher – Marsbergs Haus der Geschichte aus 1589“ befindet sich das Bild des angeblich „1. Zuges auf der Diemelbrücke nach der Einweihung“. Auch wenn es sich wohl kaum um den Eröffnungszug handeln wird, so ist doch höchst wahrscheinlich die hier gezeigte Bauzuglok „ISAR“ auf einem Bild aus dem Jahr 1873 abgebildet.
https://www.facebook.com/Unser.Marsberg/photos/pcb.126893977661009/126892340994506/?type=3&theater

Fotos des Lokschuppens der Rhene-Diemeltalbahn, z.T. mit Vollbahnlok (ca. 1900)
In [Walter 2005, S. 31] ist ein Bild des „Lokschuppens der Rhene-Diemeltalbahn in Bredelar“ abgebildet. Neben dem Lokschuppen steht eine Normalspurlok auf dem Gleis, auf dem die Normalspurloks zur Sturzbühne gelangen.
Das Aufnahmedatum dürfte „um 1900“ liegen. Der Quellenangabe nach stammt das Bild aus dem Besitz des Vereins für Ortsgeschichte Bredelar.

Ein weiteres Bild befindet sich ebenfalls im Bestand des Museums Haus Böttcher:
https://www.facebook.com/Unser.Marsberg/photos/pcb.126893977661009/126892084327865/?type=3&theater

Foto des Bhf Bredelar um 1900
Weiterhin präsentiert der Verein auf seiner Internetseite (http://www.bergbauspuren-bredelar.de/index.php/stationen/b1-bahnhof) ein Bild des Bahnhofs Bredelar aus nahezu der gleichen Perspektive, wie das Bild vom Bau des Bahnhofs. Im Bw sind mehrere ehemalige BME-Loks erkennbar.

Lokbestand Bw Bredelar zum 1. Juli 1894
IIm Geheimen Staatsarchiv in Berlin hat sich eine Liste mit Stationierungsdaten der KED Elberfeld erhalten. Es kann davon ausgegangen werden, dass der hier ausgewiesene Lokbestand des Bw Bestwig zum Teil in der Lokstation Bredelar stationiert war.

 

Zum Bild

Das Bild stammt aus einer Serie von Bildern mit Bauanlagen der Bergisch-Märkischen Eisenbahn, die im Berliner Architekturmuseum aufbewahrt wird. [Architekturmuseum, TU Berlin, Inventarnummer: BZ-F 05,007, [architekturmuseum.ub.tu-berlin.de] Das Architekturmuseum stellt die Fotos unter dem „Public Domain Mark 1.0“ zur freien Nutzung bereit. – Herzlichen Dank!

Erstellt hat das Bild der Berliner Fotograf Friedrich Albert Schwartz (1836-1906), der in der Hauptsache durch die Dokumentation Berliner Bauten bekannt ist. Belegt sind aber auch Aufträge der Lokomotivfabriken Schwarzkopff und Borsig.

 

Literatur / Quellen

BME GB 187x
Bergisch-Märkische Eisenbahn (Hrsg.): Jahres-Bericht über die Verwaltung der Bergisch-Märkischen Eisenbahn für das Geschäftsjahr 187x. Elberfeld : Sam. Lucas, 187x

BME 1879
Darstellung der Produktions- und Verkehrs-Verhältnisse im Gebiet der Bergisch-Märkischen Eisenbahn geordnet nach den Commissionsbezirken Aachen, Düsseldorf, Essen, Hagen, Altena, Cassel. Elberfeld : Friderichs & Co, 1879

DSO-HiFo 2017
Seite „Vor 100 Jahren… größere Baumaßnahmen in Bredelar (Foto von 1874, Lok von 1849)“. In: Drehscheibe online – Historisches Forum. URL: https://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?017,8310895 (Abgerufen: 04.08.2019, 0:56 UTC)

GeraMond 1991
Matthias Fuhrmann (Hrsg.): Das Bw Bestwig, Sammelwerk Dt. Bahnbetriebswerke. Verlag GeraMond, München 1991

Högemann 1988
Högemann, Josef: Die Eisenbahn im Altkreis Brilon. Eisenbahngeschichte aus dem östlichen Sauerland. Lübbecke: Uhle & Kleimann 1988. – ISBN 9783922657705
(In dem Buch wird speziell auf die Entwicklung der Ruhrtalbahn eingegangen.)

Riedel 1999
Riedel, Christoph: Eisenbahn im Sauerland. München: GeraMond Verlag 1999. – ISBN 3-932785-22-3

SAM 815
Stadt-Archiv Marsberg (o. J.): Nr. 815. Zitiert nach [Walter 2005, S. 33]

Walter 2005
Walter, Hans-Hubert: Das ehemalige Kloster als Standort von Bergbau und Metallgewerbe im 19. Jahrhundert. In: Förderverein Kloster Bredelar e.V.: Kloster Bredelar/Theodorshütte.  Vom barocken Kloster zur Eisenhütte. 2005.

 

Ohne Befund gesichtet

Löttgers 1990
Löttgers, Rolf: Die Rhene-Diemeltalbahn Bredelar – Martenberg. Biebertal, Verl. im Biebertal 1990. – ISBN 3-980-1447-1-2
(Das Buch beschränkt sich auf die Rhene – Diemeltalbahn und hat kaum Informationen zum Staatsbahnbetrieb. Interessant ist aber der Lageplan des Übergabebahnhofs von 1907 und der Hinweis auf das Buch von Josef Högemann „Die Eisenbahn im Altkreis Brilon“.)

 

Weitere Literatur / Quellen

Marsberger Geschichten – Schlüssel zur Vergangenheit e. V.
Der Marsberger Geschichts- und Heimatverein unterhält mit dem „Haus Böttcher – Marsbergs Haus der Geschichte aus 1589“ ein Heimatmuseum mit Archiv. Den Berichten im Internet zufolge sind Materialien zur frühen Eisenbahngeschichte im Bestand.
https://www.marsberger-geschichten.de/

SAM 815
Stadt-Archiv Marsberg (o. J.): Nr. 815. Zitiert nach [Walter 2005, S. 33]
Diese Quelle wird in [Walter 2005] zitiert. Es könnte sein, dass sich in der Akte weitere Informationen finden lassen.

 

Versionsgeschichte

Veröffentlicht am 2. Juli 2019

 

Weitere Tags

Strecke: Obere Ruhrtalbahn

Zeit: 1870-1874

Baureihe: Menninghaus 5.2