Für den betriebsfähigen Zustand der Personenwagen waren bei den Preußischen Staatsbahnen die Wagenmeister zuständig. Dies waren gelernte Schlosser, die für diesen Dienst besonders ausgebildet wurden. Auf den Zugbildungsstationen hatten sie alle dort stationierten Züge und Reservewagen regelmäßig zu prüfen. Außerdem aber auch jeden dort gebildeten Zug vor der Abfahrt genau zu untersuchen. Auf den Unterwegsstationen hatten sie die Züge schon bei der Einfahrt zu beobachten, dann zuerst die Postwagen und danach die übrigen Wagen nachzusehen und vorgefundene Schäden, soweit möglich, direkt auszubessern. [Cauer 1897, S. 368f]
War dies nicht möglich wurde der Wagen in der nächstgelegenen Betriebswerkstätte soweit möglich instand gesetzt. Hier sollten nur kleine, laufende Ausbesserungen durchgeführt werden, da für alle größeren Maßnahmen und für die Hauptausbesserungen die Haupt- und Nebenwerkstätte zuständig waren. Dass dies wohl nicht immer reibungslos funktioniert hat, zeigt eine Meldung im Amtsblatt der KED Elberfeld vom 12. Juni 1896: [AuN Amtsbl. 1896a]
Wir haben Veranlassung, wiederholt darauf hinzuweisen, dass die Instandsetzung der Wagen im Allgemeinen in den Hauptwerkstätten zu erfolgen hat und die Betriebswerkstätten erforderlichen Falls die Lauffähigkeit der Wagen herzustellen oder nur kleinere Reparaturen an diesen auszuführen haben. Holzarbeiten sind möglichst überhaupt nicht auszuführen.
Im gleichen Jahrgang des Amtsblattes findet sich auch eine Auflistung der Orte, von denen die Personen- und Gepäckwagen zur Instandsetzung oder Vornahme bahnamtlicher Untersuchungen der entsprechenden Hauptwerkstätte zuzuführen waren: [AuN Amtsbl. 1896b]
Hauptwerkstätte Arnsberg
Fröndenberg, Hagen (Wagen III. und IV. Klasse und Gepäckwagen), MendenHauptwerkstätte Deutzerfeld
Bensberg, Bergisch-Gladbach, Düsseldorf Hbf, Düsseldorf Derendorf, Erkrath, Köln-Deutz, Köln-Deutz Betriebsbahnhof, Mülheim a. Rh, OpladenHauptwerkstätte Langenberg
Hattingen, Kupferdreh, Ohligs, Silschede, Velbert, VohwinkelHauptwerkstätte Siegen
Altenhundem, Creuzthal, Erndtebrück, Finnentrop, Fredeburg, Freudenberg, Hilchenbach, Laasphe, Olpe, Raumland-Berleburg, SiegenHauptwerkstätte Witten
Altena, Barmen-Rittershausen, Barmen-Wichlinghausen, Brügge, Cronenberg, Dieringhausen, Elberfeld-Döppersberg, Elberfeld-Mirke, Elberfeld-Steinbeck, Hagen (Polsterwagen I./II., I./II.III., II. und II./III. Klasse), Hamm, Herdecke-Vorhalle, Holzwickede, Iserlohn, Krebsöge, Lennep, Radevormwald, Remscheid, Schwerte, Soest, Solingen-Süd, Unna
Welche Werkstätte für einen Personen-, Post- oder Gepäckwagen zuständig war, war auch an den Wagen über den Puffern angeschrieben. [Cauer 1897, S. 371]
Anhand der Aufzählung der für die Ausbesserung der Wagen zuständigen Hauptwerkstätten wird auch die neue Struktur des Werkstättenwesens nach dem Neuzuschnitt der KED-Grenzen deutlich. Die HW Langenberg war erst 1890 mit dem Betriebsamt Essen 2 zur KED Cöln rrh gelangt und kam nun wieder zurück. Ebenfalls neu war die HW Deutzerfeld. Sie kam als reines Wagenwerk ebenfalls von der KED Cöln rrh.
Etwas irritierend ist die Nennung der HW Arnsberg. Sie gehörte laut den Sekundärquellen bis zum 1.4.1906 zur KED Cassel und dürfte hier eigentlich nicht auftauchen. Demgegenüber ist es völlig korrekt, dass die ehemalige HW Elberfeld hier nicht mehr auftaucht. Sie war zwischenzeitlich zur Nebenwerkstatt degradiert worden.
Bei den im Amtsblatt aufgeführten Orten dürfte es sich um Betriebswerkstätten in den Zugbildungsbahnhöfen handeln. Vergleicht man die Aufzählung mit der Stationierungsliste [Elberfeld 1894] von 1894, so fällt auf, dass an all diesen Orten Personenzuglokomotiven stationiert waren. Außerdem sind diese Stationen nach dem Kursbuch von 1900 Start- bzw. Endpunkte von Personenzügen.
Die reichseigenen Bahnpostwagen wurden in den Werkstätteninspektionen „Deutzerfeld“ und „Witten b“ unterhalten. Die Zuordnung war über die Nummern der Wagen geregelt:
Werkstätteninspektion Deutzerfeld
reichseigene Bahnpostwagen Nr. 237, 272, 274, 314, 372, 373, 374, 493, 494, 495, 496, 516, 812, 890, 891, 955, 956, 957, 958, 1047, 1288, 1289, 1290, 1291, 1292, 1293, 1294, 1391, 1392, 1442, 1443, 1444, 1445, 1466, 1467, 1468, 1486, 1487, 1488, 1489, 1490, 1491, 1492, 1577, 1578, 1579, 1580, 1624, 1655, 1656, 1657, 1658, 1659, 1660, 1727, 1728, 1783, 1784, 1874, 1875, 1876, 1877, 1878, 1879, 1880 und 1881Werkstätteninspektion b in Witten
reichseigene Bahnpostwagen Nr. 260, 279, 284, 349, 370, 379, 385, 386, 508, 527, 574, 575, 635, 687, 696, 721, 1272, 1273, 1477, 1478, 1479, 1555, 1556, 1628, 1629, 1630, 1771, 1772 und 1773
4-achsige Personen- und Post- oder Gepäckwagen tauchen hier nicht mehr auf, da sie mit der Verordnung vom 21. Dezember 1895 alle in den Bestand der KED Altona übergegangen waren und nun dort unterhalten wurden. [Amtsbl 1896a]
Weiterführende Literatur
In der hier zitierten Nr. 540 des Nachrichtentheils zum Amtsblatt der KED Elberfeld wird auf frühere Verfügungen verwiesen. Nämlich die vom
- Vom 18. April v.J. V. 2822 (Amtsblatt 1895 S. 415 Nr. 404) und
- vom 6. Juni v.J. V. 5165 (Amtsbl. 1895 S. 557 Nr. 601)
Die Nachricht Nr. 7 „Unterhaltung der 4-achsigen Personen- und vereinigten Post- und Gepäckwagen“ verweist auf die Verfügung vom:
- 6. Mai 1895 (Amtsbl. 1895, S. 474 Nr. 485)
Das Amtsblatt von 1895 konnte bisher noch nicht eingesehen werden.
Bei der Recherche zu diesem Thema ist aufgefallen…
Albert Mühl hat 1995 im Lok Magazin einen fundierten Beitrag über die Neuorganisation des Werkstättenwesens in Preußen nach der letzten großen Neuorganisation im Jahr 1895 geschrieben [Mühl 1995]. Leider deckt sich seine Aufstellung nicht in Gänze mit den im Amtsblatt enthaltenden Informationen. So werfen die Hauptwerkstätten Arnsberg und Witten Fragen auf.
Der Aufstellung von Albert Mühl soll die Hauptwerkstatt Arnsberg erst zum 1. April 1904 von der KED Cassel zur KED Elberfeld gekommen sein. In der Meldung des Amtsblattes ist Arnsberg aber für die Betriebswerkstätten Fröndenberg, Menden und zum Teil Hagen zuständig. Auch irritiert etwas, dass die HW Arnsberg gar nicht mehr im Bereich des Streckennetzes der KED Elberfeld liegt.
Vielleicht hat es sich so ergeben: Die HW Arnsberg wird 1873 von der Bergisch-Märkischen Eisenbahn für die Commission Cassel zur Betreuung der Oberen Ruhrtalbahn in Betrieb genommen. Nach der Verstaatlichung der BME übernimmt die KED Elberfeld die Nachfolge in Streckennetz und Betrieb. Erst 1895 erfolgt eine Gebietsbereinigung, bei der die Obere Ruhrtalbahn zur KED Cassel wechselt. Auch die HW Arnsberg wechselt mit den meisten zugehörigen Betriebswerkstätten zur KED Cassel, nur die hier benannten Betriebswerkstätten Menden, Fröndenberg und Hagen verbleiben bei der HW Arnsberg. Gegebenenfall kam dann 1904 die HW Arnsberg zurück zur KED Elberfeld. – Aber dies ist alles nur reine Spekulation…
Eine ähnliche Argumentation ist für die HW Witten denkbar. Auch sie war ursprünglich eine Werkstätte der BME, die 1895 zu einer anderen Direktion – in diesem Fall der KED Essen – wechselte. Es ist durchaus denkbar, dass sie die alten Zuständigkeitsbereiche, die nun in einer anderen KED lagen, mitversorgte. – Aber auch das ist reine Spekulation. Abschließend bleibt festzuhalten, dass in den einschlägigen Büchern zur Bergisch-Märkischen Eisenbahn von Werner Menninghaus und zur Eisenbahndirektion Essen von Rolf Ostendorf hierzu leider keine Hinweise zu finden sind.
Quellen und Literatur
Bei der Erstellung dieses Beitrags hat mich Michael Peplies mit Anregungen, Informationen und Literatur unterstützt. Herzlichen Dank!
Amtsbl. 1896a
Nr. 7 – Unterhaltung der 4-achsigen Personen- und vereinigten Post- und Gepäckwagen, vom 21. Dezember 1895. In: Amtsblatt der Königlichen Eisenbahndirektion in Elberfeld 1896. Stück Nr. 1, 3. Januar 1896
AuN Amtsbl. 1896a
Nr. 576 – Instandsetzung der Wagen, vom 12. Juni 1896. In: Anzeigen- und Nachrichtentheil zum Amtsblatt der Königlichen Eisenbahndirektion in Elberfeld 1896. Stück Nr. 30, 19. Juni 1896
AuN Amtsbl. 1896b
Nr. 540 – Wiederherstellung schadhafter Personen-, Post- und Gepäckwagen, vom 10. Juni 1896. In: Anzeigen- und Nachrichtentheil zum Amtsblatt der Königlichen Eisenbahndirektion in Elberfeld 1896. Stück 29, 12. Juni 1896
AW Witten 1988
Bundesbahn AW Witten (Hrsg.): 125 Jahre Ausbesserungswerk Witten 1863-1988. Chronik eines AW im Wandel der Zeit. Druckerei der BD Karlsruhe, 1988
Elberfeld 1894
„Vertheilung der Lokomotiven des Direktionsbezirks Elberfeld auf die neuen Direktionsbezirke“. Aufgestellt nach dem Stand vom 1. Juli 1894
Menninghaus 1990
Menninghaus, Werner u.a.: Bergisch-Märkische Eisenbahn (1843-1881) – Ausbesserungswerk Witten. Uhle & Kleimann, Lübbecke 1990
Mühl 1995
Mühl, Albert: Die Neuorganisation des Werkstättenwesens in Preußen 1895. In: Lok Magazin Nr. 192, 1995
Ostendorf 1983
Ostendorf, Rolf: Die Geschichte der Eisenbahndirektion Essen. Fahrzeuge und Betriebsführung 1895 bis heute. Motorbuch Verlag, Stuttgart 1983